Eine Jugendliche von hinten in gelber Regenjacke mit hochgekrempelten Hosen schaut auf Meer und  Wolken.

juna #4.19 Was ihr wollt

Was heißt es heute, gut und richtig zu leben? Welche Prioritäten setzen junge Menschen? Wir haben mit vier von ihnen über ihre Lebensentwürfe gesprochen.

Was heißt es heute, gut und richtig zu leben? Welche Prioritäten setzen junge Menschen, was ist ihnen wichtig? Wir haben mit vier von ihnen über ihre Lebensentwürfe gesprochen.

Johanna, 24, aus München

Es muss einen besseren Weg für mich geben

 

ICH SEHE DEN SINN meines Daseins nicht darin, nur selbst ein schönes Leben zu haben. Ich will auch dazu beitragen, dass die Welt ein besserer Ort wird. Es ist nicht vertretbar, mit unserem jetzigen System weiterzumachen, das auf Ausbeutung von Natur und Menschen beruht, das die Lebensgrundlagen von uns und allen anderen Arten zerstört. Ich will an einem Systemwandel mitarbeiten.

Ich will auch dazu beitragen, dass die Welt ein besserer Ort wird.

Kinder sind ein Schlüssel, um die Gesellschaft zu verändern, und ich konnte schon immer gut mit ihnen arbeiten, zum Beispiel in meinem freiwilligen ökologischen Jahr im Naturerlebniszentrum Burg Schwaneck oder bei der Katholischen Jugend Planegg. Deshalb habe ich Grundschullehramt studiert. Aber ich bin mit dem Schulsystem sehr unzufrieden, ich lehne es ab, Noten zu geben, Menschen zu bewerten und in Schubladen zu stecken. Deshalb habe ich mich nach meinem Staatsexamen im Sommer gegen das Referendariat entschieden. Es muss einen besseren Weg für mich geben.

Diesen möchte ich bewusst suchen, deshalb mache ich gerade ein freiwilliges Jahr bei „Project Peace“. Wir sind elf junge Menschen, alle auf der Suche nach dem Platz, an dem wir die Welt am besten mitgestalten können. Im Moment beschäftigen wir uns theoretisch mit Fragen wie diesen: Wie wollen wir leben? Wie wollen wir die Welt gestalten? Dann arbeiten wir ein halbes Jahr in Freiwilligen-Projekten, in wichtigen Projekten, die etwas verändern. Dafür will ich meine Zeit und Energie einsetzen. Außerdem will ich nachdenken und meditieren, will zu mir finden. In den letzten zwei Jahren des Studiums hatte ich zu wenig Zeit zum Reflektieren. Und auch das ist für mich wichtig: nahe bei mir selbst zu sein.

Noah, 22, aus München 

Mitgefühl hat keine Grenzen

ICH WILL ZU EINEM WANDEL in der Gesellschaft beitragen. Seit zwei, drei Jahren engagiere ich mich. Ich war im Hambacher Forst dabei, das ist ja zu einem repräsentativen Kampf für das Klima und gegen den Kapitalismus geworden. Beides gehört für mich zusammen, denn der Kapitalismus hat uns überhaupt erst in diese Situation gebracht. In dem Ort, in dem ich studiere, habe ich deshalb auch „Extinction Rebellion“ mitaufgesetzt, eine weltweite Bewegung, die in London angefangen hat.

Und ich mache bei vielen Protestaktionen mit. Wir haben zum Beispiel bei der Biennale in Venedig eine antikapitalistische Botschaft gesendet und den roten Teppich besetzt. Wir wollten zeigen, dass es Quatsch ist, dass Leute aus der ganzen Welt zum Festival fliegen, um sich zwei, drei Tage zu vergnügen. Auch mein Studium hat eng damit zu tun, da setze ich mich etwa mit der Frage auseinander, warum Themen wie der Klimawandel, die uns direkt betreffen, in unserem Denken so unwichtig sind.

Ich kann nicht so weitermachen und mich auf meinem Privileg ausruhen.

Ich habe manchmal lange Tage, weil ich mich engagiere und zugleich studiere, aber das ist es mir wert. Denn Mitgefühl hat keine Grenzen. Ich kann es auch gegenüber Menschen empfinden, die ich nicht sehe. Irgendwann wurde mir klar: Ich kann nicht so weitermachen und mich auf meinem Privileg ausruhen. Ich wohne in München und würde die Auswirkungen der Klimakatastrophe als Letzter spüren. Aber seit ich mich damit auseinandersetze, kann ich nicht mehr wegschauen. Wenn nach meinem Studium alles immer noch so schlimm ist, mache ich vielleicht ein Jahr Auszeit, um mich nur noch zu engagieren.

Zoe, 18, aus München

Der Beamtenstatus ist super!

MIR IST SICHERHEIT SEHR WICHTIG. Ich bin zwar erst 18, und in diesem Alter denken die meisten noch nicht an ihre Zukunft. Aber ich will wissen, dass ich abgesichert bin. Ich habe im Sommer mein Fachabitur gemacht, und meine Freunde wissen alle noch nicht, was sie nach der Schule machen sollen. Ich aber schon: Ich habe mich für den Mittleren Dienst bei der Polizei beworben. Der Beamtenstatus ist super. In der freien Wirtschaft weiß man ja nie, wie es weitergeht, ständig hört man, dass vielen Leuten Altersarmut droht. Außerdem will ich mal eine Familie gründen, und die Familienplanung lässt sich mit dem Job total gut vereinbaren.

Bei jungen Leuten gilt die Polizei natürlich als uncool, aber das ist mir egal.

Aber neben Sicherheit ist mir noch etwas anderes wichtig: Abwechslung. Wenn ich länger monoton das Gleiche mache, verliere ich die Motivation. Bei der Polizei gibt es ganz unterschiedliche Bereiche, vom Unfallkommando bis zur Einbruchsprävention. Und egal, wo man arbeitet: Man weiß morgens nie, was einen erwartet. Ich könnte mir nicht vorstellen, jeden Morgen ins Büro zu gehen, am Computer zu sitzen und Telefonate zu führen, dann um sechs heimzugehen und zu wissen: Am nächsten Tag mache ich genau das Gleiche.

Wer mich beeinflusst hat, zur Polizei gehen zu wollen? Das habe ich allein entschieden. Kurz bevor ich mit der Schule fertig wurde, war mir klar: Jetzt kümmert sich niemand mehr um dich, jetzt musst du dein Leben selbst in die Hand nehmen. Bei jungen Leuten gilt die Polizei natürlich als uncool, aber das ist mir egal.

Jan, 29, aus Nürnberg

Ich finde es gut, eine gewisse Vorbildfunktion zu haben

RICHTIG ZU LEBEN HEISST FÜR MICH, nachhaltig zu leben. Es gibt nur eine Welt, und mit deren Ressourcen sollten wir haushalten. Meine Freundin und ich versuchen deshalb, Plastikmüll und anderen Müll zu vermeiden. Wir kaufen circa 70 Prozent unserer Lebensmittel in einem Bauernladen, da fällt schon mal die Verpackung weg. Und vieles machen wir selbst, zum Beispiel Waschmittel aus Efeu. Der wächst in unserem Garten und reicht für Tausende Waschmaschinenladungen. Wir haben damit noch alle Flecken rausbekommen.

Wir machen auch Seife selbst und die Feuchttücher für unseren einjährigen Sohn: Da legen wir Stofftücher in kochendes Wasser, Kokosöl und Sonnenblumenöl ein. Auch unser Deo stellen wir selbst her, und das hält immer einen Tag lang frisch, auch im Hochsommer.

Wir haben jetzt gar keinen Plastikmüll mehr bei uns, das macht mich jeden Tag glücklich.

Seit vier Jahren leben wir nachhaltiger. Denn wir waren genervt von dem Müll, der ständig anfällt. Mittlerweile bekommt man sehr viele Infos im Internet. Das war vor vier Jahren noch schwieriger, damals war das Thema noch nicht so en vogue. Wir haben jetzt gar keinen Plastikmüll mehr bei uns, das macht mich jeden Tag glücklich. Und das inspiriert auch meine Freunde. Ich finde es gut, eine gewisse Vorbildfunktion zu haben.

Außerdem bin ich seit zwölf Jahren Vegetarier. Wenn die Agrarflächen anders genutzt würden als für Soja und Getreide, das Kühe und andere Tiere fressen, gäbe es keinen Hunger mehr auf der Welt. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass alle etwas ökologischer denken. Ansonsten ist mir wichtig, mit meiner kleinen Familie ganz viel Zeit zu verbringen und gemeinsam die Natur zu erleben.

Karin Fleissner
Referentin Öffentlichkeitsarbeit für Projekte