Große weiße Schrift: MACHT PLATZ! Im Hintergrund eine braune Couch.

juna #2.22 Mobilität und Wohnen

zählen zu den wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit. Gerade für junge Leute ist Wohnen mittlerweile zur Existenzfrage geworden.

Ausschnitt einer altbackenen Wohnung mit Schreibtisch und Stuhl

Es geht um die Existenz

Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Die Preise sind explodiert, immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, eine adäquate Wohnung zu finden. Darunter leiden insbesondere zahllose junge Menschen. Was ist da nur schiefgelaufen? Unser Autor blickt auf die Wohnungspolitik der vergangenen Jahrzehnte.

von Christian Schroth

»Der Mangel an preiswertem Wohnraum trifft immer mehr Menschen, insbesondere in den Ballungsgebieten. Diese Problematik hat sich zu einem der brisantesten kommunalpolitischen Themen verschärft und findet auch in einer breiten Öffentlichkeit große Resonanz. Ursachen hierfür sind u. a.: neue Wohnformen (Trend zu kleineren, ökonomisch selbständigen Einheiten – Kleinfamilie, Singlehaushalte etc.); ökonomisch fundierte Marktgesetzlichkeiten, z. B. Trend zur Luxussanierung, Bodenspekulation etc.; aber auch höhere Ansprüche an Quantität und Qualität von Wohnraum u. a. m.«

Dieses Zitat stammt nicht etwa aus der aktuellen Tagespresse, sondern es leitet die Dokumentation eines Hearings des BJR zum Thema „Jugend und Wohnen“ ein, das vor ziemlich genau 30 Jahren in Nürnberg stattfand.¹ Die Lektüre dieses 133-seitigen Schriftstücks ist bemerkenswert: Offensichtlich hat sich in den letzten drei Jahrzehnten bei diesem „brisanten kommunalpolitischen Thema“ nichts wesentlich verbessert – ganz im Gegenteil. Die damals aufgezeigten Probleme und deren Folgen für das Aufwachsen junger Menschen haben sich nochmals verschärft – so sehr, dass die Wohnungssoziologin Christine Hannemann die Lage als „mittlerweile demokratiegefährdend“² einstufte: Beim Wohnen gehe es nun einmal um die eigene Existenz. Und wenn diese Existenzsicherung nicht geklärt sei, hätten die Menschen das Gefühl, dass ihre grundlegenden Lebenszusammenhänge nicht gestaltet würden und damit ein Fehlen von politischer Legitimation für gesellschaftliche Verfahren und Prozesse einhergehe.

Nach nunmehr 75 Jahren staatlicher Wohnungs(bau)politik in der Bundesrepublik Deutschland schlafen jedes Semester Student:innen in ihren Autos in der Nähe der Unis, weil sie keine bezahlbare Unterkunft finden. Auszubildende tun sich ebenfalls schwer, mit ihrem kleinen Gehalt eine Wohnung oder auch nur ein Zimmer zu finanzieren, das gleiche gilt für Praktikant:innen und Berufseinsteiger:innen. Oft ist dieser Schritt der Verselbständigung junger Menschen nur mit Unterstützung der Familie möglich – und nicht jede Familie kann diese Unterstützung leisten. Obwohl statistisch gesehen auf jeden Einwohner in Deutschland eine Wohnfläche von 47,4 Quadratmeter entfällt,³ müssen viele Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien in engen Wohnverhältnissen leben, da zu wenige Sozialwohnungen verfügbar sind – oder weil ein Durchschnittsgehalt für eine durchschnittliche Wohnung nicht mehr ausreicht. Um zu verstehen, was schiefgegangen ist, lohnt sich ein Blick auf die Geschichte der Wohnungs(bau)politik des letzten Jahrhunderts.

DIE WOHNUNGSPROGRAMME DER NACHKRIEGSZEIT

Direkte Folgen des Zweiten Weltkriegs waren eine zerstörte Infrastruktur, zerbombter Wohnraum, rund neun Millionen Obdachlose, die in ländliche Gebiete umgesiedelt wurden, und rund zwölf Millionen Vertriebene und Geflüchtete, vor allem aus den ehemaligen „Ostgebieten“. Kriegs- und migrationsbedingt fehlten etwa 5,5 Millionen Wohnungen in der deutschen Westzone. Nach einer ersten Phase der Wohnungszwangsbewirtschaftung wurde 1950 ein erstes Wohnungsbaugesetz beschlossen, infolgedessen der Bund innerhalb eines Jahrzehnts den Bau von 3,3 Millionen Wohnungen finanzierte, ergänzt durch 2,7 Millionen Neubauten privater Investoren.

Die weiteren Instrumente der Wohnungspolitik waren Reformen des Mietrechts zugunsten der Wohnenden – darunter Verbesserungen beim Kündigungsschutz und die Einführung von Kappungsgrenzen und Mietpreisbeschränkungen – sowie verschiedene Förderinstrumente, die man analytisch als Objektförderung („Investition in Steine“) und Subjektförderung („Investition in Menschen“) betrachten kann. Eingeführt wurden die Wohneigentumsförderung als eine steuermindernde Sonderinvestition sowie Investitionsprogramme unter dem Sammelbegriff „Sozialer Wohnungsbau“. Diese Förderprogramme und Instrumente waren sehr umstritten im Hinblick auf ihre Wirkungen und Nebenwirkungen. Kritisiert wurden und werden vor allem Verpuffungs- und Mitnahmeeffekte, das Schaffen sozialer Brennpunkte und Fehlbelegungen von Sozialwohnungen. Weitgehend unumstritten jedoch war die Einführung des Wohngeldes als ein Mittel der Subjektförderung.

DIE ÄRA KOHL UND IHRE FOLGEN

Bis zum Jahr 1988 war dieser erfolgreiche, umfassende und systematische soziale Wohnungsbau ein Alleinstellungsmerkmal Deutschlands in Europa. Dies änderte sich schlagartig, als sich die Regierung Kohl dazu entschied, das Thema Wohnen dem freien Spiel der Kräfte des Marktes zu überlassen. Nach dem Rückzug des Bundes aus der Wohnungsbauförderung und der Abschaffung von Privilegien und Bindungen der Wohnungsgemeinnützigkeit fiel die Zahl der Sozialwohnungen von 3,9 Millionen (1987) auf 1,1 Millionen (2020). Der Neubau von Sozialwohnungen kam praktisch zum Erliegen. Nach Erhebungen verschiedener Institute fehlen derzeit rund vier Millionen Sozialwohnungen in Deutschland.

In den letzten Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Regulierung durch die „unsichtbare Hand des Marktes“ nicht zu einer Verbesserung der Wohnungssituation führte. Die Gesetze des Marktes sind brutal einfach, die Folgen mitunter desaströs: Wo Knappheit herrscht, steigen die Preise. Wer nicht bezahlen kann, muss eben gehen. Offener Rassismus und gewaltsame Verdrängungspraktiken tun oft ihr Übriges. Die Generierung eines zusätzlichen Angebots an Wohnraum, das nach der Marktlogik eigentlich auf die Phase der Knappheit folgen müsste, bleibt aber weitgehend aus. Das liegt in der Logik der Sache, denn der Boden, also der Platz für Wohnraum, ist begrenzt. Aber Wohnen hat einen engen Bezug zur Einkommensquelle und kann nicht beliebig woanders stattfinden, wo es eben günstiger ist.

Zugleich gilt: Wo zahlungskräftige Nachfrage fehlt, entsteht eben keine Infrastruktur, wird kein ÖPNV ausgebaut, wird kein Glasfaserkabel gelegt, werden soziale und kulturellen Einrichtungen geschlossen, auch Einrichtungen der Jugendarbeit. Außerdem entwickeln sich keine neuen Jobmöglichkeiten. So stehen in vielen ländlichen Regionen, insbesondere im Osten Deutschlands, viele Wohnungen leer.

DER MARKT HAT VERSAGT

Wohnungsmärkte ohne politische Steuerung produzieren also Ergebnisse, die politisch und sozial nicht erwünscht sind. Dass Wohnen im Kern kein Wirtschaftsgut, sondern ein Sozialgut ist und damit nicht dem freien Spiel der Kräfte des Marktes, also den Kapitalinteressen, überlassen werden kann, diese Einsicht hat sich in den vergangenen Jahren sogar parteiübergreifend durchgesetzt. Davon zeugen mehrere Wohnungsgipfel verschiedener Bundesbauminister. Massive Investitionsprogramme im Wohnungsbau, die Einführung des „Baukindergeldes“, Mietpreisbremsen (in Bayern seit 2019) und einiges mehr sollen die Wohnungsnot lindern.

Dieses Umsteuern der Politik kann die Fehler der Vergangenheit, wie beispielsweise den Verkauf von kommunalen und landeseigenen Wohnungsgesellschaften, auf absehbare Zeit nicht wettmachen. Es werden deshalb noch viel weitergehende Maßnahmen gefordert. In den letzten Jahren gab es in verschiedenen Bundesländern Volksbegehren zu Mietpreisdeckeln: In Berlin kam es im September 2021 sogar zu einem Volksentscheid mit dem Ziel, Wohnungsgesellschaften ab einer gewissen Größe zu vergesellschaften, also wieder in das Eigentum des Landes zu überführen. Das könnte kurzfristig Abhilfe schaffen, längerfristig löst dies aber das eigentliche Problem auch nicht: Nur etwa 8,1 Prozent der in Deutschland bewohnten Wohnungen werden von privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen vermietet. Privatpersonen sind mit rund 31,2 Prozent die größte Gruppe der Vermieter:innen, darunter viele ältere Menschen, die mit den Mieteinnahmen aus ihren Eigentumswohnungen – mühsam finanziert aus dem Ersparten –, ihre kleinen Renten aufbessern.

WOHNUNGSPOLITIK IST AUCH KLIMAPOLITIK

Mit Blick auf Klima und Umwelt wird alles noch viel komplizierter: Das Erreichen der Pariser Klimaziele ist notwendig – und dazu gehören natürlich auch Maßnahmen im Feld der Wohnungswirtschaft, also Wärmedämmung und Umstellung auf erneuerbare Energien, etwa beim Heizen. Wie diese Mammutaufgabe letztlich finanziert werden kann, ohne die Lage auf dem Wohnungsmarkt für die Mieter:innen noch weiter zu verschlechtern, ist bis dato ungeklärt. Denn viele Eigentümer:innen werden die damit verbundenen Kosten auf ihre Mieterinnen und Mieter umlegen (müssen).

2019 hat der ehemalige Bundesbauminister Horst Seehofer betont, dass die kritische Lage auf dem Wohnungsmarkt nur eine Antwort kenne: „Bauen, bauen, bauen.“ Andererseits ist es auch Konsens, dass die Versiegelung von Boden aus ökologischen Gründen gestoppt werden muss – wohin also bauen, bauen, bauen?

HOMEOFFICE ALS CHANCE?

Die Erfahrungen der Corona-Pandemie bieten zumindest die Chance, aufgrund der besseren Homeoffice-Gelegenheiten den Zuzugsdruck auf die Ballungsräume abzumildern und vermehrt ländlichen Wohnraum zu nutzen. Vielleicht macht sich auch die Einsicht breit, dass neben dem Thema Wohnen die anderen Bereiche zentraler Infrastruktur ebenfalls nicht den Regeln des Marktes überlassen werden dürfen, sondern die Politik hier die Steuerung übernehmen muss. Vielleicht wird das Megathema der Digitalisierung aus gegebenem Anlass nun ernsthafter und im Hinblick auf schnelle Netzinfrastruktur überall angegangen – und nicht nur dort, wo es sich für die privaten Anbieter lohnt.

In der Wohnungspolitik gibt es keine einfachen Antworten. Deshalb geht es auch darum, die vielen Instrumente der Subjekt- und Objektförderung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Wirkrichtung kritisch zu hinterfragen. Eines ist jedoch längst klar: Um auch und insbesondere jungen Menschen ein gutes Aufwachsen und den Start in die Unabhängigkeit zu ermöglichen, müssen die Felder Wohnungspolitik, Mobilität und Klimaschutz noch sehr viel stärker zusammen gedacht werden.

¹ BJR: Dokumentation Jugend und Wohnen, Hearing am 22.2.1992 in Nürnberg, S. 5
² Interview im Jahr 2018 mit Deutschlandfunk Kultur: www.deutschlandfunkkultur.de/soziologin-zur-wohnungspolitik-die-lage-ist-mittlerweile-100.html
³ de.statista.com/statistik/daten/studie/1064675/umfrage/verteilung-der-bewohntenwohnungen-in-deutschland-nach-eigentuemer-oder-vermieter

Der Autor

Christian Schroth
ist Grundsatzreferent beim BJR
Schroth.Christian(at)bjr.de

Ansprechperson

Karin Fleissner
Referentin Öffentlichkeitsarbeit für Projekte