Die Delegierten der 152. Vollversammlung des Bayerischen Jugendrings fordern einen Perspektivwechsel in der Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht und fordern die gesellschaftliche Teilhabe von jungen Geflüchteten.
Die bayerische Jugendarbeit beschäftigt sich nicht erst seit dem Jahr 2014 intensiv mit dem Thema Flucht und setzt sich für die gesellschaftliche Teilhabe von jungen Geflüchteten ein.
Wir haben sowohl in vielen Projekten, in unserer Vereins- und Verbandsarbeit, in der Offenen Jugendarbeit als auch während Hilfsaktionen in Aufnahmezentren oder im alltäglichen Kontakt mit jungen Geflüchteten einen vielfältigen Erfahrungsschatz gesammelt und setzen uns, wie für alle jungen Menschen, für deren Belange ein. Junge Geflüchtete sind ganz selbstverständlich Akteure in der bayerischen Jugendarbeit.
Die von uns erlebte Realität steht im starken Widerspruch zum öffentlichen und politischen Diskurs über Flucht und Asyl. Deshalb fordern wir von Politik und Gesellschaft einen Perspektivwechsel.
Wir wollen nicht mehr von Problemen sprechen, sondern von Herausforderungen, die es zu meistern gilt, und von Chancen, die wir gestalten können. Wir wollen keine Debatten mehr darüber, ob wir uns eine vielfältige Gesellschaft leisten können. Sie ist Realität und muss als solche anerkannt werden. Deutschland und damit auch Bayern ist und war schon längst ein Einwanderungsland, in dem es gilt, die Migrationsgesellschaft für alle gerecht zu gestalten.
Worte schaffen Wirklichkeiten. Deshalb wollen wir, dass die Worte genutzt werden, die die Wirklichkeit schaffen, in der wir leben wollen. Und die Mut machen, diese auch zu gestalten. Solange Politik weiterhin Sprachbilder produziert, die von negativen Stereotypen und Ausgrenzung geprägt sind und diese Haltung in Gesetze gießt, hat Gesellschaft keine Chance, anders zu sprechen. Wir wollen aber eine Politik, die souverän ist und Vertrauen schafft. Eine Politik, die den Menschen in den Mittelpunkt rückt, und die nicht ausschließlich von Defiziten, Problemen und Abgrenzung spricht.
Eine vielfältige Gesellschaft ist komplex. Das bedeutet vielfältige Herausforderungen und Fragestellungen. Diese Herausforderungen brauchen Antworten, komplexe Antworten, denn ansonsten wird man den Fragen nicht gerecht. Gerade in den letzten Jahren mit hoher Zuwanderung von Geflüchteten sind Veränderungsprozesse in Gang gekommen, die zunächst viele Menschen verunsichern. Hier hat Politik Verantwortung und eine Steuerungsfunktion.
Wir brauchen Möglichkeiten, damit sich alle Gesellschaftsmitglieder angesprochen fühlen und Gesellschaft in ihrem Sinne mitgestalten. Gesellschaft ist hier im Sinne der Bevölkerung des Landes gemeint, meint also nicht nur Bewohner_innen mit deutscher Staatsbürgerschaft.
Es geht um unsere Demokratie. Wir fordern eine Politik, die ein Wertesystem vertritt, das Gemeinschaft schafft und nicht ausgrenzt.
Jede gesellschaftliche Instanz muss sich an ihrem Umgang mit den schwächsten Gruppenmitgliedern messen lassen. Deshalb ist der Umgang mit Geflüchteten ein so wesentlicher Ausdruck für den Zustand unserer Demokratie.
Wir stellen fest: Politik und Zivilgesellschaft müssen zusammenarbeiten im Sinne einer offenen inklusiven Gesellschaft. Gerade in der ehrenamtlichen Arbeit mit Geflüchteten wurden hier vielmals Belastungsgrenzen überschritten.
Mit großer Sorge beobachten wir, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft andere Voraussetzungen im Zugang zu Asyl, Aufenthalt und Leben in Deutschland haben. Aufgrund ihrer Herkunft werden schutzsuchende Menschen momentan in solche mit „guter Bleibeperspektive“ und Personen mit sog. „schlechter Bleibeperspektive“ eingeteilt. Bei Asylantragsteller_innen aus sog. "sicheren Herkunftsstaaten" gilt die sog. „Regelvermutung“, dass sie keinen Anspruch auf Asyl haben, da der Herkunftsstaat ausreichend Schutz vor politischer Verfolgung bietet.
Hier wird deutlich, wie Worte Wirklichkeit schaffen. Denn aufgrund solcher Einteilungen findet Ungleichbehandlung statt: Während des Asylverfahrens gilt mit der Regelvermutung, dass Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten beweisen müssen, dass sie in ihrem Land sehr wohl politisch verfolgt wurden oder die Unversehrtheit ihres Lebens in Frage gestellt wurde. Demgegenüber steht die staatliche Einschätzung, dass genau dies nicht der Fall ist. Hinzu kommen Aufenthalt in der Aufnahmeeinrichtung bis zum Ende des Verfahrens, ggf. bis zur Ausreise, Residenzpflicht und Arbeitsverbot, zudem kürzere Klagefristen und keine aufschiebende Wirkung von Klagen. Sollte trotz negativ beschiedenem Asylantrags die Ausreise ausgesetzt, also eine Duldung erteilt werden, sind die betroffenen Personen weiter schlechter gestellt. Weiterhin gilt das Arbeitsverbot, der Zugang zu Integrationskursen bleibt ihnen verwehrt, auch im Bundesfreiwilligendienst dürfen sie sich nicht engagieren. Trotzdem können diese Personen auf längere Frist in Deutschland bleiben. Wie z.B. im jugendpolitischen Zwischenruf des Landesjugendhilfeausschusses dargestellt, führt dies zu vielfältigen Problemen. Der BJR warnt ausdrücklich davor, die Liste an sicheren Herkunftsstaaten auszuweiten. Ein besonderes Augenmerk ist auf Afghanistan zu lenken. Es gibt keine Regelung über Afghanistan als „sicheres Herkunftsland“, aber politisch wird von „sicheren Landesteilen“ gesprochen und so der Druck erhöht, Geflüchtete tatsächlich abzuschieben, trotz einer sich stets verschlechternden Sicherheitslage. Die bayerische Jugendarbeit hat sich hierzu klar positioniert. Das Ausweiten dieses Diskurses auf weitere Länder, wie jüngst etwa mit Syrien geschehen, muss unterbleiben.
Diese vornehmlich jungen Menschen werden hier vor Perspektivlosigkeit gestellt und mit Ungleichbehandlungen konfrontiert, die aus unserer Sicht nicht vertretbar sind.
Infokasten [2]: Asylantragstellung bei Personen aus sog. „sicheren Herkunftsstaaten“Als sichere Herkunftsstaaten gelten derzeit: die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, ehemalige jugoslawische Republik, Montenegro, Senegal, Serbien. Dies steht im Widerspruch zum Asylrecht als Individualrecht. Diese Personengruppe wird zudem strukturell benachteiligt, da sie verpflichtet ist, im jeweiligen Aufnahmezentrum bis zum Ende des Asylverfahrens, im Falle des negativen Ausgangs des Verfahrens bis zur Ausreise, wohnen zu bleiben. Darüber hinaus erlischt die Residenzpflicht nicht, wie bei anderen Asylsuchenden, nach einem gewissen Zeitraum. In Bayern besteht zudem die Möglichkeit, in gesonderten Ankunfts- und Rückführungszentren (ARE) oder seit 2017 auch Transitzentren untergebracht zu werden. Im Klageverfahren gelten für Personen aus sicheren Herkunftsländern kürzere Fristen, da die Anträge als „offensichtlich unbegründet“ zumeist abgelehnt werden. Gemäß Artikel 37 Absatz 3 der EU-Asylverfahrensrichtlinie sind bei der Beurteilung der Frage ob ein Staat als sicherer Herkunftsstaat gemäß diesem Artikel bestimmt werden kann, verschiedene Informationsquellen, insbesondere Informationen anderer Mitgliedstaaten, des EASO [2], des UNHCR [3], des Europarates und anderer einschlägiger internationaler Organisationen, heranzuziehen. |
Infokasten: BleibeperspektiveDiese ursprünglich insbesondere vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verwendeten Begriffe basieren auf der sog. Schutzquote. Personen, die aus Herkunftsländern stammen, deren Schutzquote (positive Entscheidungen im Asylverfahren) über 50 Prozent liegt, haben eine sog. „gute Bleibeperspektive“. Bei Herkunftsländern mit einer Schutzquote von unter 50 Prozent, wird den jeweiligen Personen eine sog. „schlechte Bleibeperspektive“ zugesprochen. Eine sog. „gute Bleibeperspektive“ haben derzeit Geflüchtete aus Eritrea, Iran, Irak, Somalia und Syrien (diese Liste wird halbjährlich überarbeitet). Ähnlich wie bei der Einschätzung von bestimmten Ländern als „sichere Herkunftsstaaten“ wird hier die Herkunft als ausschlaggebendes Kriterium angesehen, die aber im Asylverfahren lediglich eine Entscheidungsdimension ist. Zudem suggeriert die Verwendung dieser Begriffe, dass Personen mit sog. „schlechter Bleibeperspektive“ nur für eine kurze Zeit in Deutschland sein werden. |
Je nach Herkunftsland, Aufenthaltsstatus und auch Kommune, in der Geflüchtete untergebracht werden, ergeben sich unterschiedliche Zugangsbarrieren für Geflüchtete. Junge Menschen mit gleicher Fluchterfahrung, können ganz unterschiedliche Ergebnisse im Asylverfahren haben. Diese Ungleichbehandlung wird insbesondere dann augenfällig, wenn Familienmitglieder, die aus genau den gleichen Fluchtgründen nach Deutschland gekommen sind, mit unterschiedlichen Entscheidungen im Asylverfahren konfrontiert werden.
Besonders auffällig, dass gleiches Recht verschiedene Auslegungen ermöglicht, wird es, wenn man die Schutzstatus nach Bundesländern (bei gleichen Herkunftsländern) aufschlüsselt. Das BAMF als Bundesbehörde muss gewährleisten, dass Asylverfahren überall in der Bundesrepublik vergleichbar sind. Bayern weist im bundesdeutschen Vergleich geringere Schutzquoten auf. Dies führt inzwischen zu immer mehr Klagen bei negativ beschiedenen Asylgesuchen, denen in vielen Fällen auch Recht gegeben wird. [4]
Der Aufenthalt in den Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen (ARE) bzw. Transitzentren ist für die Dauer des Asylverfahrens verpflichtend, in dem Gedanken, dass es sich hierbei um wenige Wochen handelt. In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass sich der Aufenthalt über Monate hinziehen kann. Zudem haben die Bewohner_innen der ARE und Transitzentren eine Residenzpflicht und dürfen keine Arbeit aufnehmen. Außerdem werden hier für Kinder und Jugendliche die Kinderrechtskonvention und die Schulpflicht ausgehebelt. In den ARE sind die Standards insgesamt niedriger und die Zugänge für zivilgesellschaftliche Akteure zum großen Teil versperrt, sodass z.B. ehrenamtliche Freizeitangebote nicht wahrgenommen werden können. Darüber hinaus führt die Unterbringung an einem solchen Ort auch zu einer Ausgrenzung.
Infokasten: Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen (ARE) bzw. TransitzentrenIm Herbst 2015 wurden – einmalig in Deutschland, nämlich in Bayern – zwei sog. Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen in Bamberg und Ingolstadt/Manching eingerichtet. Hier wurden Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten (insbesondere Westbalkanstaaten, später auch Senegal und Ghana) untergebracht. Ziel war es, vor Ort alle Kompetenzen zu bündeln, um möglichst schnell zu einem Ergebnis (angedacht waren wenige Wochen) im Asylverfahren zu kommen und dann die abgelehnten Asylsuchenden möglichst schnell in ihre Herkunftsländer abschieben zu können. Von vielen Seiten wurde Kritik an dieser Unterbringungsform laut, insbesondere von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die hier Grundrechtsverletzungen (Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung, Zugang von zivilgesellschaftlichen Akteuren) diagnostizierten. 2017 wurden die ARE in sog. Transitzentren umgewandelt und das Konzept weiter ausgebaut. Derzeit werden drei weitere Transitzentren aufgebaut. Hier werden Personen mit sog. schlechter Bleibeperspektive untergebracht. Auch hier ist das Ziel, die Asylverfahren möglichst schnell durchzuführen. Für die Bewohner_innen der Transitzentren besteht Residenzpflicht für die gesamte Dauer des Verfahrens (nicht wie sonst max. sechs Monate). |
Die Themen Flucht und Europa können nicht losgelöst voneinander diskutiert werden. Europäische Gesetzgebungen und Entscheidungen beeinflussen ganz maßgeblich die Realität von Geflüchteten in Europa und in Bayern. Hierzu hat sich die bayerische Jugendarbeit bereits ausführlich positioniert. Die Forderungen aus dem Jahr 2015 haben auch weiterhin Bestand, deshalb wiederholen wir sie an dieser Stelle nochmals.[5]
Viele der jungen Geflüchteten, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind, sind Kinder und Jugendliche. [7] Sie sind eine besonders schutzbedürftige Gruppe und haben speziell verbriefte Rechte u.a. auf Grundlage der Kinderrechtskonvention. Besonders viele von ihnen sind mit ihren Familien hier und sind in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Inzwischen wurden Standards zur kinder- und jugendgerechten Unterbringung erarbeitet.[8] Aber in vielen Unterkünften sind diese nach wie vor nicht umgesetzt. Es fehlt an Rückzugsmöglichkeiten, Räumen zum Spielen und Lernen, kleinen familiären Unterkünften, an sanitären Anlagen, die sich abschließen lassen, kurz an ausreichenden Schutzräumen für Kinder.
Der besondere Schutz, den Kinder brauchen, wird zu wenig beachtet.[9] Auch der Leistungsbezug für begleitete Kinder und Jugendliche bzw. ihrer Familien nach dem Jugendhilfegesetz (etwa frühe Hilfen zu Erziehung, Beratungsleistungen oder Erkennen von Kindeswohlgefährdung) ist gerade in Gemeinschaftsunterkünften kaum gegeben.[10]
Familie ist die primäre Sozialisationsinstanz und als solche gerade für junge Menschen in ihrer Entwicklung von großer Bedeutung. Der Schutz der Familie ist gesetzlich verbrieft (UN-Menschenrechtskonvention, EU-Recht, Grundgesetz, Kinderrechtskonvention). Die Familie ist unersetzlich, man kann sie sich nach der Flucht im Aufnahmeland nicht wieder neu aufbauen.
Anerkannte Flüchtlinge haben zwar das Recht auf Familiennachzug, allerdings unter derzeit sehr schwierigen Bedingungen. Eltern dürfen ihre minderjährigen Kinder und den_die Ehepartner_in nachholen, nicht aber volljährig gewordene Kinder. Minderjährige dürfen lediglich die Eltern, nicht aber die (minderjährigen) Geschwister nachholen.
Mit der Verabschiedung des Asylpaket II und der Aussetzung des Familiennachzuges für subsidiär Schutzberechtigte, nimmt die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus rapide zu. Dies empfinden wir als problematisch.
Die Bildungschancen sind für Geflüchtete je nach Aufenthaltsstatus und Herkunftsland sehr verschieden. Das bedeutet auch, dass diese Vorrecht vor den individuellen Fähigkeiten, formalen und non-formalen Bildungsqualifikationen der betroffenen Personen haben. Dabei sind sie nicht die maßgeblichen Kriterien für Bildung und Bildungserfolg. Durch häufige Umverteilung oder Unterbringung in sog. ARE und Transitzentren ist für viele Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter der Zugang zu Schulen nicht gewährleistet. Auch die Versorgung mit Sprachkursen ist nicht in ausreichendem Maße gegeben und steht im Gegensatz zu den staatlichen Forderungen zum Spracherwerb. Einen Zugang zu Sprach- und Integrationskursen erhalten während des Asylverfahrens nur Geflüchtete mit sog. „guter Bleibeperspektive“. Die Nachfrage nach Deutschkursen ist aber hoch und wird in vielen Fällen von ehrenamtlichen Initiativen übernommen. Selbst wenn die deutsche Sprache in kurzer Frist erlernt wurde, stehen viele – auch junge – Geflüchtete vor großen Herausforderungen, denn häufig werden ihre im Herkunftsland erworbenen Kenntnisse nicht anerkannt, z.B. die Berufserfahrung oder das Studium.
Der Gesetzgeber hat mit dem Bundesintegrationsgesetz eine konkrete Möglichkeit geschaffen, Geflüchteten über die sog. 3+2-Regelung den geduldeten Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Die Praxis sieht insbesondere in Bayern anders aus, hier hat sich die bayerische Jugendarbeit bereits klar positioniert.[11] Die Ausländerbehörden erteilen in vielen Fällen keine Arbeitserlaubnis etwa für die Aufnahme der Ausbildung. Zudem gibt es die Situation, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens bereits eine Ausbildung begonnen haben und mit Abschluss des Asylverfahrens nun plötzlich die Verpflichtung zur Ausreise vorliegt. Dies führt dazu, dass Geflüchtete aus der Ausbildung heraus abgeschoben werden.
Viele Menschen sind hier einer schwer nachvollziehbaren Behandlung ausgesetzt, denn wie die Entscheidung bzgl. Ausbildungserlaubnis aussieht, ist abhängig von den lokalen Ausländerbehörden, die verschieden entscheiden. Allerdings handeln die Ausländerbehörden hier nicht nur nach individuellen Einschätzungen, sondern auch aufgrund innenministerieller Aufforderungen, die eine spezifische, restriktive Auslegung der Bundesgesetzgebung auf bayerischer Ebene nahelegen.
Viele junge Geflüchtete haben sich als leistungsbereit gezeigt, die deutsche Sprache gelernt und einen Abschluss erworben. Gerade die Hoffnung auf eine Ausbildungsstelle war damit häufig verbunden. Die Verweigerung der Arbeits- bzw. Ausbildungsaufnahme bei vielen gleichaltrigen Geflüchteten – gerade auch solchen, die sich besonders engagiert haben – führt zu einer großen Verunsicherung unter den jungen Geflüchteten. Ihnen wird die Perspektive genommen und die Enttäuschung spüren wir in der Jugendhilfe und Jugendarbeit. Viele ziehen sich zunehmend zurück und sind schwerer zu erreichen und zu motivieren. Das behördliche Vorgehen stellt aus unserer Sicht ein großes Integrationshemmnis dar.
Infokasten: 3+2 RegelungDie 3+2-Regelung besagt, dass Geflüchtete für die Dauer der qualifizierten Ausbildung (also im Normalfall zwei oder drei Jahre) eine Duldung erhalten können und im Anschluss noch für weitere zwei Jahre im Beruf geduldet arbeiten können. Dies wird in § 60a des Aufenthaltsgesetzes begründet: Einer_einem Ausländer_in kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen vorliegen. Die Berufsausbildung stellt einen dringenden persönlichen Grund dar. In Bayern wird diese Regelung allerdings sehr restriktiv ausgelegt. Der Halbsatz im § 60a des Aufenthaltsgesetzes, in dem es heißt, die Duldung sei zu erteilen, wenn „konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen“, bildet hierfür die Grundlage. In Bayern werden „konkrete Maßnahmen“ sehr weit gefasst. Dies führt u.a. dazu, dass insbesondere jungen Geflüchteten, die z.B. Berufsintegrationsklassen besucht und in kürzester Zeit einen (qualifizierten) Hauptschulabschluss erworben haben, der Zugang zur Ausbildung verweigert wird, gerade wenn die Ausländerbehörde erwartet, dass das Asylverfahren negativ beschieden werden könnte (Stichwort: sog. schlechte Bleibeperspektive). |
Das Recht auf ein gesundes Leben hat jeder Mensch. Nach wie vor haben Geflüchtete, solange sie sich im Asylverfahren befinden, nur Anspruch auf eine gesundheitliche Versorgung im Notfall. Viel zu häufig wird die Entscheidung darüber, ob es sich um einen Notfall handeltnicht von medizinisch ausgebildetem Fachpersonal getroffen.
Menschen mit Fluchterfahrung sind in einem überdurchschnittlichen Maße von psychischen Erkrankungen (insbesondere Traumata) betroffen. Die Bedarfe werden hier aber häufig nicht oder zu spät erkannt und es gibt nicht ausreichend Therapieplätze.
Junge Geflüchtete, insbesondere unbegleitete Minderjährige, haben Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe wie alle anderen jungen Menschen auch. Aus der Praxis wissen wir, dass Jugendhilfemaßnahmen mit dem Erreichen der Volljährigkeit sehr häufig eingestellt werden und Anträgen auf Weiterführung der Hilfen nur in Ausnahmefällen stattgegeben werden, zum großen Unverständnis der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, der Betreuer_innen und weiteren Aktiven im Umfeld. Ebenso stehen die immer wieder aufkommenden Forderungen nach einer speziellen Form der Jugendhilfe für Geflüchtete im Gegensatz zu den Bedürfnissen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst. Junge Geflüchtete sind zuerst junge Menschen. Für sie muss – wie für alle anderen auch – der Vorrang des Kindeswohles, die Ermittlung des konkreten Hilfebedarfs und die Einzelfallentscheidung gelten. Welche Lebenserfahrungen eine Person gemacht hat, muss dabei in die Entscheidungsfindung einfließen, sie zum pauschalen Grundargument gegen die gleichen Standards in der Jugendhilfe für Geflüchtete zu machen, ist falsch.
Jugendarbeit hat eine essentielle Rolle in der Lebensphase Jugend – unabhängig von der Herkunft der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Diese Aufgabe auch gegenüber jungen Geflüchteten wahrzunehmen, dem hat sich die Jugendarbeit verschrieben. Junge Geflüchtete haben die gleichen Bedürfnisse wie alle Jugendlichen. Um der Aufgabe gerecht werden zu können, jungen Menschen mit Fluchterfahrung Freiräume zu eröffnen und auch im Sinne einer Anwaltschaft für diese Zielgruppe übernehmen zu können, braucht Jugendarbeit Unterstützung.
Jeder Mensch hat ein Recht auf Teilhabe und Mitbestimmung. Jeder Mensch braucht Empowerment und die Möglichkeit, freie Entscheidungen treffen zu können. Nicht alle Menschen sind aber in gleichem Maße an demokratischen Willensbildungsprozessen beteiligt und können sich gleichermaßen in die Gesellschaft einbringen. Kinder und Jugendliche sind hier in vielen Bereichen gegenüber Erwachsenen benachteiligt, Geflüchtete sind in vielerlei Hinsicht gegenüber der Mehrheitsgesellschaft benachteiligt. Junge Geflüchtete haben es also in doppelter Hinsicht schwer, sich in gesellschaftliche Prozesse einzubringen. Wahlrecht besteht lediglich bei der Wahl von Migrationsbeiräten (18+), die ein beratendes Gremium darstellen. Ein umfassender Ansatz von Teilhabe geht aber weit über die Teilnahme an Wahlen hinaus. Gerade die Jugendarbeit bietet hier viele Möglichkeiten.
Wir fordern ein Klima der Menschenfreundlichkeit. Das bedeutet zuallererst die kompromisslose Anerkennung, dass Vielfalt in der deutschen Gesellschaft Realität ist. Gleichzeitig geht es darum, zu erkennen, dass genau in dieser Vielfalt eine große Stärke liegt. Eine Demokratie lebt von Aushandlungsprozessen. Wenn mehr beteiligte Stimmen einen Konsens erreichen, dann macht das eine Demokratie stärker, z.B. gegen anti-demokratische Bewegungen. Vielfalt trägt einen großen Wissensgewinn in sich und führt zu einer Profilschärfung. Ein Klima der Menschenfreundlichkeit bedeutet, auch anderen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft auf Augenhöhe zu begegnen. Für andere eintreten wird als Wert im Klima der Menschenfreundlichkeit gestärkt.
Die in diesem Papier formulierten Forderungen gehen einher mit einer Selbstverpflichtung. Jede_r Einzelne_r ist gefragt, sein_ihr Handeln zu reflektieren und zu verändern, denn unsere Handlungen sind wirkmächtig.
In einer globalisierten Welt stehen wir mit unseren Handlungen und Entscheidungen auch immer in einem globalen Zusammenhang. Es ist wichtig, hier Ursache-Wirkung-Kausalitäten zu kennen und abzuwägen. Es gilt, das Leben so zu gestalten, dass es auch in Zukunft gut ist.
Jede_r Einzelne_r ist hier in der Verantwortung. Das heißt, Flucht differenziert zu betrachten und differenziert darüber zu sprechen. Es heißt auch, zu unterscheiden welche Sachverhalte tatsächlich mit Flucht zu tun haben und welche nicht. Es heißt auch, Gegenrede halten und Haltung zeigen, wenn rassistische, diskriminierende, demokratiefeindliche, beleidigende Aussagen gemacht werden. Es heißt auch, die politischen Verantwortungsträger_innen immer wieder auf ihre Verantwortung zu verpflichten. Es heißt auch, mit Entscheidungen, insbesondere bei demokratischen Wahlen und hinsichtlich des eigenen Konsumverhaltens, sich die globalen Zusammenhänge ins Bewusstsein zu rufen und entsprechend zu handeln.
Wir sind bereit, diese Verantwortung anzunehmen und eine positive Haltung einzunehmen. Das vorliegende Positionspapier ist ein wichtiger Schritt, diese gesellschaftliche Verantwortung umzusetzen.
[1] In diesem Text werden an verschiedenen Stellen zur Verdeutlichung und Einordnung Infokästen verwendet. Diese haben ausschließlich erklärenden Charakter und sind nicht teil des Beschlusstextes.
[2] EASO steht für European Asylum Support Office, www.easo.europa.eu>www.easo.europa.eu
[3] UNHCR steht für United Nations High Commissioner of Refugees (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen), UNHCR ist das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen.
[4] Im Jahr 2017 hat sich die Zahl der Klageverfahren im Vergleich zum Vergleichszeitraum im Vorjahr verfünffacht, etwa 40 Prozent der Bescheide im Asylverfahren führten zu einer Klage. Derzeit bekommt dabei ca. jede/r vierte. Kläger_inRecht zugesprochen. Vgl. mediendienst-integration.de/artikel/Zahl-der-Asylklagen-deutlich-gestiegen-verwaltungsgerichte.html
[5] Vgl. Beschluss des 147. Hauptausschusses des BJR: Positionspapier zur europäischen Jugendpolitik: Ein Europa der Zukunft
[6] Vgl. den Beschluss des 145. Hauptausschusses des BJR: Willkommen in Bayern!? – Unsere Verantwortung für Asylsuchende und Flüchtlinge
[7] Im Zeitraum von Januar bis November 2017 waren 44,8 Prozent der Asylantragsteller_innen unter 18 Jahre alt. Vgl. www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/aktuelle-zahlen-zu-asyl-november-2017.pdf?__blob=publicationFile Für das Jahr 2016 lag der Prozentsatz bei 36,2 Prozent. Vgl. www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/aktuelle-zahlen-zu-asyl-dezember-2016.pdf?__blob=publicationFile
[8] Die Standards wurden unter Federführung des BMFSFJ und Unicef erarbeitet, vgl. Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften www.bmfsfj.de/blob/107848/5040664f4f627cac1f2be32f5e2ba3ab/schutzkonzept-mindeststandards-unterkuenfte-data.pdf
[9] So steht es u.a. im Unicef-Bericht: In erster Linie Kinder. Flüchtlingskinder in Deutschland aus dem Jahr 2014, vgl. www.unicef.de/blob/56282/fa13c2eefcd41dfca5d89d44c72e72e3/fluechtlingskinder-in-deutschland-unicef-studie-2014-data.pdf Dass sich an der hier dargestellten Situation nichtgrundlegend etwas geändert hat, unterstreicht der Bericht „Factfinding zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Erstaufnahmeeinrichtungen und Notunterkünften des Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und UNICEF. www.unicef.de/blob/106516/d0912061605d9a839102bc34cfae0ba2/unicef-bumf-factfinding-fluechtlingskinder-2016-data.pdf
[10] Vgl. Kindheit im Wartezustand. Studie zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Flüchtlingsunterkünften in Deutschland. www.unicef.de/blob/137704/053ab16048c3f443736c4047694cc5d1/studie--kindheit-im-wartezustand-data.pdf, S. 54 ff.
[11] Vgl. Beschluss des BJR: Ausbildung erlaubt! – Alle jungen Menschen brauchen Perspektiven
[12] Vgl. Beschluss des BJR: Wir haben was zu sagen. Demokratie braucht Jugendpolitik