Die Delegierten der 154. Vollversammlung des Bayerischen Jugendrings beschließen ein Paket an Forderungen, um die Situation von Geflüchteten zu verbessern und nehmen die geschlechtsspezifischen Besonderheiten von Mädchen und Frauen in den Blick.
Fluchtursachen sind vielfältig. Aufgrund zahlreicher Kriegs- und Krisengebiete wächst die Zahl von Geflüchteten weltweit. Infolge andauernder Konflikte, Kriege und Menschenrechtsverletzungen und Umweltkatastrophen suchen viele Menschen Schutz und Sicherheit. Auch strukturpolitische Ursachen wie die europäische Agrar-, Handels- und Fischereipolitik tragen dazu bei, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Insbesondere Mädchen und Frauen erleben auf der Flucht dabei häufig geschlechtsspezifische Gewalt und Entwurzelung. Sie sind sowohl in den Herkunftsländern als auch auf der Flucht selbst sowie in den Ankunftsländern zahlreichen Gefahren und Herausforderungen ausgesetzt. Darüber hinaus sind sie von speziellen Fluchtgründen betroffen. Dazu gehören beispielsweise (massive) sexualisierte, geschlechtsbezogene Gewalt und systematische Vergewaltigung, die nach wie vor als Kriegswaffen eingesetzt werden, außerdem zählen hierzu auch Genitalverstümmelung, Zwangsheirat oder Ehrenmorde. Allerdings wird die geschlechtsspezifische Verfolgung nach wie vor allzu oft im europäischen Asylverfahren nicht anerkannt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
Deshalb fordern wir:
I. Humanitäre Visa und Dublin
Die seit 01.01.2014 geltende Dublin-III-Verordnung ist die Rechtsgrundlage für das Verfahren, in dem geregelt ist, dass Asylsuchende in dem Land zu registrieren sind, in dem sie als erstes europäischem Grund betreten haben. Hier muss auch der Asylantrag gestellt und bearbeitet werden. Sollte sich herausstellen, dass für die asylsuchende Person ein anderer EU-Mitgliedsstaat zuständig ist, so wird sie in diesen Staat zurückgeschickt. In der Realität bedeutet dies, dass die meisten Asylsuchenden in EU-Randstaaten abgeschoben werden können und somit eine sinnvolle und faire Verteilung geflüchteter Menschen nicht passiert. Vermehrt zeigt sich, dass eine menschenwürdige Behandlung von Geflüchteten in den EU-Randstaaten nicht gewährleistet ist.
Humanitäre Visa der EU für die Kernfamilie sind eine Möglichkeit, eine lebensbedrohliche, traumatisierende und teure Flucht zu verhindern. Könnte ein schutzsuchender Mensch einen solchen Visa-Antrag stellen, wäre eine legale Einreise möglich. Momentan ist durch den Europäischen Gerichtshof geregelt, dass ein solches humanitäres Visum von einem Mitgliedsstaat nicht verpflichtend ausgestellt werden muss.
Deshalb fordern wir:
II. Angleichung der Standards
Leider ist die Aufnahme von Geflüchteten in der EU keine Selbstverständlichkeit. Einzelne Länder lehnen die Aufnahme generell ab und beteiligen sich nicht an gemeinsamen Lösungen. Besonders betroffen sind weibliche Flüchtlinge.
Länder an der Außengrenze der EU haben einen erhöhten Druck. Oft fehlen ihnen die notwendigen Kapazitäten zur Durchführung fairer und ordnungsgemäßer Asylverfahren. Die größeren Zuwanderungen in die EU aufgrund von Krieg oder Krisensituationen sind ohne eine grundsätzliche Reform des unsolidarischen Dublin-Systems nicht möglich.
Deshalb fordern wir:
I. Herkunftsländer
Die EU hat nicht nur innerhalb ihrer Grenzen eine große Verantwortung, sondern auch außerhalb. Durch ihr politisches Wirken in der Welt hat sie einen großen Einfluss darauf, ob Frauen und Mädchen in ihren Heimatländern ihre Rechte wahrnehmen können. Sie sollen in ihren Herkunftsländern ein sicheres, selbstbestimmtes und unversehrtes Leben führen können. Dies ist sowohl ein wichtiges Ziel für die Bekämpfung von Fluchtursachen, als auch für die Situation von Rückkehrerinnen in ihre Heimat. Die Emanzipation wäre nicht nur für die Mädchen und Frauen selbst ein Fortschritt, sondern auch für die Gesellschaft, in der sie leben. In Ländern, in denen Mädchen und Frauen Zugang zu Bildung, Besitzrechten etc. bekommen, ist die Wirtschaftsleistung deutlich gestiegen.
Deshalb fordern wir:
II. Flüchtlingslager innerhalb und außerhalb der EU
Die Situation von geflüchteten Frauen ist besonders in den Flüchtlingslagern außerhalb der EU prekär. Mädchen und Frauen, die aus ihren Herkunftsländern fliehen, bleiben oft in Flüchtlingslagern im Umfeld ihrer Heimat. Ihre geschlechtsspezifischen Schutzbedürfnisse werden in den Lagern meistens nicht berücksichtigt. Mädchen und Frauen sollten in den Flüchtlingslagern Schutz finden und nicht weiteren Traumatisierungen ausgesetzt werden. Jede Form der Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel auf der Flucht ist nicht hinnehmbar.
Deshalb fordern wir:
III. Auf dem Fluchtweg
Die EU muss bei der Sicherung ihrer Außengrenzen die Grenzkontrollen konform mit dem Völkerrecht und den Menschenrechten sowie den europarechtlichen Vorgaben ausgestalten. Artikel 1 der Charta der Grundrechte der EU schreibt die Unantastbarkeit der Menschenwürde für alle Menschen fest. Der Grundrechteartikel gilt sowohl an den EU-Außengrenzen, wenn Menschen dort ankommen, als auch, wenn Menschen u.a. im Mittelmeer in Seenot geraten. Besonders für Frauen und Kinder ist die Flucht auf dem Seeweg in mehrfacher Hinsicht ein Risiko, da sie auch hier der Gefahr von sexualisierter Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel ausgesetzt sind.
Daher fordern wir:
[1] Zur Erläuterung: Ein Antrag auf humanitäre Visa könnte im Heimatland bei den entsprechenden Vertretungen von Zielländern (bspw. Deutschland oder Frankreich) gestellt werden. Mit einem solchen Visum wäre es möglich in das Zielland legal einzureisen und dort dann einen Asylantrag zu stellen. Ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 2017 besagt bis jetzt, dass der Visakodex auf diesen Fall nicht anzuwenden und auch nicht EU-Hoheit sei. So steht es den Mitgliedsstaaten frei humanitäre Visa zu vergeben. (vgl. https://www.bundestag.de/resource/blob/501166/7e372b5dbdb900d557488a0cee557d83/erteilung-humanitaerer-visa-data.pdf) Das EU-Parlament hat den Vorschlag humanitäre Visa einzufordern Ende 2018 angenommen und fordert dies nun von der EU-Kommission ein. (s. http://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/world/20181031STO18177/humanitare-visa-vorschlag-des-eu-parlaments)
[2] Bis zum Sommer 2018 wurde die Istanbul-Konvention des Europarates von 33 Staaten gezeichnet. Vgl. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/geschlechtsspezifische-gewalt
Verwendete Quellen
Europäisches Parlament (2014-2019): P8_TA(2016)0073: Die Lage von weiblichen Flüchtlingen und Asylsuchenden in der EU (auch: Honeyball-Report)
Zentralkomitee der deutsche Katholiken (2017): Eine menschenwürdige Asylpolitik als Gemeinschaftsaufgabe der Europäischen Union.
Zur Bedeutung des Verhältnisses Ausbildung von Frauen und wirtschaftliche Entwicklung von Schwellen- und Entwicklungsländern:
- Welthungerhilfe (2015): Factsheet Frauen und Entwicklung
- Heidemarie Wieczorek-Zeul (2007): Ohne Frauen keine nachhaltige Entwicklung
- Förderung von Frauen im Bereich ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Ernährungssicherung: www.bmz.de/de/themen/frauenrechte/arbeitsfelder_und_instrumente/laendliche_entwicklung/index.html