Zwei Brot-Hälften mit dem weißen Schriftzug: Unser täglich Brot.

juna #1.21 Essen und Ernährung

„Du bist, was du isst“ – stimmt das? Gerade junge Menschen reflektieren Ernährungsgewohnheiten und hinterfragen sie.

Fruchtbare Reformen

Dieser Fokusteil handelt von Essen und Ernährung und muss deshalb, klar, mit der Landwirtschaft beginnen. Wie und unter welchen Bedingungen sollen Lebensmittel entstehen? Diese Frage beschäftigt viele Jugendverbände. Bei der BJR-Vollversammlung im Oktober 2020 debattierten sie leidenschaftlich über einen Antrag, in dem die Jugendorganisation Bund Naturschutz, die Naturfreundejugend Bayerns und die Naturschutzjugend eine sozial-ökologische Transformation forderten. Zur selben Zeit einigten sich die Agrarminister:innen der EUMitgliedstaaten auf eine Agrarreform, die gerade zwischen Rat, Kommission und Parlament der EU verhandelt wird (s. Seite 5). Wir haben bei einigen Jugendverbänden nachgefragt, wie sich die Landwirtschaft wandeln sollte.

  1. Wie ist eure Position zur geplanten EU-Agrarreform?
  2. Welche Reformen haltet ihr mit Blick auf eine zukunftsfähige, sozial und ökologisch orientierte Landwirtschaft für nötig?
  3. Für welche Veränderungen tretet für nötig ihr darüber hinaus mit Blick auf eine nachhaltige Versorgung mit Nahrungsmitteln ein?

Jugendorganisation Bund Naturschutz

  1. Die Agrarreform ist uns zu ambitionslos. Es wird zu sehr auf die Freiwilligkeit der einzelnen Staaten gesetzt. Außerdem greift die Regelung, dass 30 Prozent der Mittel für Ökodienstleistungen reserviert werden, viel zu spät – erst im Jahr 2023. Solange ein Großteil der Agrarzahlungen nicht an verbindliche Anforderungen für den Umweltschutz geknüpft ist, bleibt die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ein bedingungsloses Grundeinkommen für Großgrundbesitzer:innen, die mit ihren Flächen machen können, was sie wollen. Dadurch wird man weder das Verkümmern der Biodiversität und die Erosion der Böden noch das Sterben der kleinen Höfe stoppen können.
  2. Der Umstieg auf Biolandwirtschaft muss  stark  gefördert  werden, weil dadurch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, chemischen Düngemitteln und Antibiotika gesenkt wird. Kleinere Höfe müssen finanziell stärker unterstützt werden als die großen Agrarfabriken, um ein weiteres Höfesterben zu verhindern und um die Naturschutzleistungen, die insbesondere von kleineren Höfen erbracht werden, stärker zu honorieren. Darüber hinaus muss der Tierschutz, der immerhin in unserem Grundgesetz verankert ist, deutlich gestärkt werden, sodass Praktiken wie das Schreddern von Küken oder die Haltung von Tieren auf engstem Raum bald der Vergangenheit angehören. Zu einer sozial-ökologischen Landwirtschaft gehört für uns nämlich auch, dass Bauern nicht mehr gezwungen sind, zwischen Wirtschaftlichkeit einerseits und Tier-, Klima- Umwelt- sowie Naturschutz andererseits entscheiden zu müssen. Deshalb müssen die Bauern und Bäuerinnen, die ein so wichtiges Gut wie unsere Lebensmittel erzeugen, auch deutlich besser entlohnt werden. Hier müssen insbesondere die Marktmacht der Einzelhandelsriesen beschränkt und der Preisdruck auf Bauern und Bäuerinnen verringert werden.
  3. Wir fordern unter anderem, dass in allen städtischen Kantinen, insbesondere an den Schulen und Kitas, regionale Biolebensmittel ausgegeben und vermehrt vegetarische und vegane Gerichte angeboten werden. Damit eng zusammenhängend fordern wir verstärkte Bildungsarbeit zum Thema Ernährung und Nachhaltigkeit.
Die Autor:innen

Julia Dade und Alexander Rix
Jugendorganisation Bund Naturschutz

Bayerische Jungbauernschaft e.V.

  1. Aus unserer Sicht fehlt es der EU- Agrarreform an Innovation! Es wurde an bekannten Stellschrauben gedreht. Wünschenswert wäre es, junge Landwirt:innen zu unterstützen, ihnen zum Beispiel einen besseren Zugang zum Lebensmitteleinzelhandel zu ermöglichen oder auf die Regionalität unserer Produktvielfalt zu fokussieren.
  2. Wir fordern, dass die hochwertigen Produkte der deutschen Landwirtschaft in ihrem ökonomischen Wert berücksichtig werden, was die Umsetzung ökologischer Ziele ermöglichen würde. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit sind Importprodukte mit niedrigeren Standards stark zu kritisieren. Um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft zu sichern, müssen regionale Erzeugnisse eine bevorzugte Wertschätzung erhalten. Nicht haltbar ist die Tendenz, Biobetriebe im Vergleich zu konventionellen Betrieben als ökologischer zu betrachten – denn Letztere können auch ökologisch wirtschaften. Bio und „konventionell“ darf nicht strikt getrennt werden, die jeweiligen Produkte weisen Stärken und Schwächen auf. Der Fokus sollte auf ergebnisorientierte Maßnahmen gelegt werden. Nicht das System macht den Unterschied, sondern die Umsetzung. Mit Blick auf soziale Nachhaltigkeit muss die Entlohnung an die Standards anderer Branchen angepasst werden. Der Preis von landwirtschaftlich erzeugten Produkten muss entsprechend des Einkommens der Gesellschaft angehoben werden und sich dadurch direkt auf die Urproduktion auswirken. Eine bevorzugte Besteuerung vegetarischer und veganer Produkte ist wenig sinnvoll. Zum einen wollen wir uns für eine ausgewogene Ernährung einsetzen. Andererseits könnten soziale Ungleichheiten entstehen, da Geringverdienende verhältnismäßig stärker belastet werden. Der Arbeitskreis Agrarpolitik der BJB befürwortet gesetzliche Rahmenbedingungen, um den Landwirt:innen Planungssicherheit zu verschaffen. Beispielsweise müssen die Ziele des Volksbegehrens der Artenvielfalt für die Landwirtschaft sinnvoll umsetzbar sein.
  3. Die Corona-Krise zeigt, wie wichtig die regionale Landwirtschaft für die Ernährungssicherheit ist. Daher muss die Ertragssicherheit gewährleistet werden. Nachhaltige Maßnahmen wie pflanzenangepasstes Düngen und die Förderung der biologischen Vielfalt sind Bestandteil der modernen Landwirtschaft. Es muss ein Mittelweg zwischen „konventionell“ und „bio“ gefunden werden, um auf allen Ebenen eine nachhaltige Versorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern!
Die Autor:innen

Arbeitskreis Agrarpolitik
Bayerische Jungbauernschaft e.V.

Evangelische Landjugend

  1. Eine Reform ist zu begrüßen. Die EU-Landwirtschaft weist im globalen Vergleich hohe Sozial- sowie Umweltstandards auf und sichert günstige Verbraucherpreise. Neue Beschlüsse müssen Einkommen sichern und sich am Leitbild einer bäuerlichen Landwirtschaft orientieren. Weiter ökologische Ziele lassen sich umsetzen, wenn sie für Betriebe ökonomisch und sozial (etwa hinsichtlich der Arbeitsbelastung) tragfähig sind. Bestehende Umweltprogramme sollen nicht ausgehebelt werden, da in Bayern 50 Prozent der Landwirt:innen diese freiwillig umsetzen.
  2. Diese Reformen halten wir für nötig:
  • Senkung der Lebensmittelverschwendung.
  • Input-Optimierung durch digitale Anwendungen, um Ressourcen bei Pflanzenschutz und Düngung zu schonen.
  • Schluss mit dem Preisdruck, der aufgrund der Marktmacht der Lebensmittelkonzerne besteht.
  • Eindeutige Kennzeichnung der Herkunft landwirtschaftlicher Erzeugnisse

 

Grundsätzlich ist bei Reformen eine Folgenabschätzung nötig:

  • Umstellungen brauchen Zeit, landwirtschaftliche Investitionen sind langfristig ausgelegt (30 Jahre).
  • Ziele müssen unabhängig von den Kategorien „ökologisch“ und „konventionell“ festgelegt werden.
  • Neue Vorgaben können zur Verlagerung der Erzeugung ins Ausland führen.
  • Umstellungen sind für kleine Betriebe oft finanziell nicht machbar. Das fördert den Strukturwandel hin zu großen Betrieben.
  • Eine übermäßige Förderung des Ökolandbaus wächst am Markt vorbei und führt zu einem Preisverfall, was den Erzeuger:innen nicht hilft.
  • Umstellung auf Freilandhaltung ist für viele Betriebe, zum Beispiel im Ortskern, nicht möglich und erfordert mehr Seuchenschutz. Besser: Förderung von tiergerechten Ställen.
  • Hinsichtlich veganer Lebensweise ist zu bedenken: Tierhaltung ermöglicht Kreislaufwirtschaft (Tiere fressen Feldfrüchte und liefern Dünger für Pflanzen). Zum Beispiel verpflichtet der Verband Demeter zur Tierhaltung.
  • Umstellungen brauchen Zeit, landwirtschaftliche Investitionen sind langfristig ausgelegt (30 Jahre).
  • Ziele müssen unabhängig von den Kategorien „ökologisch“ und „konventionell“ festgelegt werden.
  • Neue Vorgaben können zur Verlagerung der Erzeugung ins Ausland führen.
  • Umstellungen sind für kleine Betriebe oft finanziell nicht machbar. Das fördert den Strukturwandel hin zu großen Betrieben.
  • Eine übermäßige Förderung des Ökolandbaus wächst am Markt vorbei und führt zu einem Preisverfall, was den Erzeuger:innen nicht hilft.
  • Umstellung auf Freilandhaltung ist für viele Betriebe, zum Beispiel im Ortskern, nicht möglich und erfordert mehr Seuchenschutz. Besser: Förderung von tiergerechten Ställen.
  • Hinsichtlich veganer Lebensweise ist zu bedenken: Tierhaltung ermöglicht Kreislaufwirtschaft (Tiere fressen Feldfrüchte und liefern Dünger für Pflanzen). Zum Beispiel verpflichtet der Verband Demeter zur Tierhaltung.

3.

  • Veränderungen setzen einen offenen Dialog zwischen Landwirtschaft und Verbraucher:innen voraus.
  • Aktionen für faire Lebensmittelpreise (Green Friday) sind wichtig. ELJ-Gruppen kaufen zum Beispiel Lebensmittel aus der Region.
  • Gerechtigkeit muss weltweit angestrebt werden: Die ELJ unterhält zum Beispiel eine Partnerschaft mit der ökologischen Agrarberatung CAPA (Brasilien), die Kleinbauern und -bäuerinnen zu Anbau und regionaler Vermarktung berät.
Die Autor:innen

Sabine Groß, Landes­vorsitzende und
Stefan Funke, Landesvor­sitzender des
Agrarsozialen Arbeitskreises Evangelische Landjugend

Katholische Landjugendbewegung Bayern

  1. Europäische Zusammenarbeit ist wertvoll – und die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU bietet viele Chancen dazu. Entscheidend ist, dass die GAP keine reine Förder-, sondern auch Gestaltungspolitik ist. Das Verhältnis von erster und zweiter Säule – Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe sowie Förderung ländlicher Entwicklung – muss ausgewogen sein. Die Ausgestaltung muss dem Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele dienen. Nationale Gestaltungsspielräume müssen erhalten bleiben, um regionalen Unterschieden gerecht zu werden. Zudem muss die Förderung der aktiven Landwirtschaft (im Haupt- sowie Nebenerwerb) Priorität bekommen. Agrarpolitik ist immer auch Wirtschaftspolitik – hier ist eine Konzentration auf den europäischen Binnenmarkt einer übermäßigen Exportorientierung vorzuziehen. Darüber hinaus hat die GAP eine jugendpolitische Dimension: Vor allem bei Förderprogrammen für ländliche Räume sind partizipative Strukturen und obligatorische Jugendbeteiligung bei geförderten Maßnahmen (zum Beispiel bei Leader-Projekten) weiterzuentwickeln.
  2. Vor allen Reformen ist uns wichtig, dass ein gesellschaftlicher Diskurs geführt wird, wie wir mit unserer Natur- und Kulturlandschaft umgehen wollen. Und wie die unterschiedlichen Ansprüche an Landwirtschaft – Erzeugung von Lebensmitteln, Unternehmertum, Kulturlandschaftspflege, Natur- und Klimaschutz usw. – in Einklang gebracht werden können. Der Runde Tisch zur Artenvielfalt in Bayern war ein wichtiger Schritt. Ein Anliegen ist uns zudem der Erhalt der landwirtschaftlichen Struktur in Bayern, geprägt von kleineren, familiengeführten Betrieben. Der Anteil an ökologischem Landbau soll Schritt für Schritt ausgebaut werden. Bei der Tierhaltung steht für uns die Futtermittelerzeugung mit regionalen Ressourcen im Vordergrund, Importe gentechnisch veränderter Futtermittel lehnen wir ab. Grundsätzlich sind Reformen drastisch genug zu gestalten, um etwas zu verändern, aber auch sanft genug, um die Existenz gerade kleinbäuerlicher Betriebe nicht zu gefährden.
  3. Seit Jahrzehnten engagiert  sich die KLJB Bayern mit ihrer Bildungsarbeit für eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung – mit drei Schwerpunkten: Jungen Landwirt:innen müssen Wege eröffnet werden, ihre Betriebe in Richtung mehr Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln – dafür braucht es Angebote zur Aus- und Weiterbildung. Genauso wichtig ist die Bildungsarbeit mit Blick auf die Verbraucher:innen, die mit ihrem Konsumverhalten wesentlichen Einfluss auf die Lebensmittelerzeugung nehmen. Dazu können auch Jugendverbände mit ihrer Bildungsarbeit beitragen, ein Beispiel ist das aktuelle KLJB-Projekt „HITZEfrei. Auszeit für die Erde“ (s. Seite 21). Ein dritter Baustein ist der erwähnte Dialog, der verhärtete Fronten zwischen Landwirt:innen und Verbraucher:innen sowie zwischen Interessengruppen auflösen kann.
Autorin

Maria Stöckl, Landesgeschäftsführerin
Katholische Landjugendbewegung Bayern

Karin Fleissner
Referentin Öffentlichkeitsarbeit für Projekte